BAG, Urteil vom 18.11.2021, 2 AZR 138/21:
Entscheidende Bedeutung, ob eine krankheitsbedingte Kündigung seitens des Arbeitgebers möglicherweise begründet werden kann, kommt der ordnungsgemäßen Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) zu. Ein Arbeitgeber ist verpflichtet, ein solches gemäß § 167 Abs. 2 SGB IX durchzuführen, wenn ein Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres mehr als 6 Wochen arbeitsunfähig erkrankt ist. Spricht ein Arbeitgeber eine personenbedingte (krankheitsbedingte) Kündigung aus, ohne zuvor ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen, ist die Kündigung zwar nicht per se unwirksam, der Arbeitgeber trägt aber die komplette Darlegungs- und Beweislast dafür, dass keine möglichen gesundheitlichen Maßnahmen dazu geführt hätten, dass der betroffene Arbeitnehmer zukünftig weniger Krankheitstage aufweist bzw. im Falle einer langandauernden Erkrankung seine Arbeitsfähigkeit innerhalb der nächsten 24 Monate wieder erlangt.
Daher ist von entscheidender Bedeutung, ob der Arbeitgeber zeitnah vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung ein betriebliches Eingliederungsmanagement angeboten und im Falle der Annahme durch den Arbeitnehmer durchgeführt hat.
Fraglich war bisher, wie zeitnah vor der Kündigung ein betriebliches Eingliederungsmanagement zuletzt angeboten werden musste.
In der obigen Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht sich nunmehr zu dieser Frage positioniert. In dem zu entscheidenden Fall war dem Arbeitnehmer zwar ein betriebliches Eingliederungsmanagement angeboten worden und dass auch relativ zeitnah von der Kündigung. Nach der Durchführung des BEM-Gespräches war der Arbeitnehmer allerdings weitere 79 Tage erkrankt, woraufhin die Arbeitgeberin dann das Arbeitsverhältnis ohne erneutes Angebot eines BEMs kündigte.
Das BAG entschied, dass der Arbeitgeber erneut verpflichtet gewesen wäre, ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen, da der Arbeitnehmer nach Durchführung des letzten BEMs erneut länger als 6 Wochen erkrankt gewesen sei. Dies führte dazu, dass die Kündigung als unwirksam erachtet wurde, da der Arbeitgeber auch nicht in der Lage war, zu beweisen, dass die erneute Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements keine positiven Ergebnisse hätte zeigen können. Diese Option wäre ihm gleichwohl verblieben.
In der Praxis bedeutet dies, dass Arbeitgeber tunlichst vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung - und zwar zeitnah vor deren Ausspruch - ein betriebliches Eingliederungsmanagement angeboten und im Falle von dessen Annahme auch durchgeführt haben sollten.
Für den Arbeitnehmer gilt, dass seine Chancen im Kündigungsschutzprozess nach einer krankheitsbedingten Kündigung erheblich steigen, sollte der Arbeitgeber zwar ein betriebliches Eingliederungsmanagements im Vorfeld angeboten haben, seit diesem Angebot aber weitere mindestens 6 Wochen Erkrankung des betroffenen Arbeitnehmers vorlagen, bevor die Kündigung ohne erneutes BEM ausgesprochen wird.
Gerne können Sie uns im Falle einer krankheitsbedingten Kündigung oder zu der Gesamtthematik BEM zu einem Beratungsgespräch aufsuchen.
Ihr Fachanwalt für Arbeitsrecht in Gelsenkirchen
Helge Nitsche